Dr. Martin P. Schmidt
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Beweissicherungsverfahren in Frankreich

Das französische Recht sieht bei Schutzrechtsverletzung ein radikales Beweissicherungsverfahren vor : die saisie-contrefaçon (Artikel L. 613-8, Code de la propriété intellectuelle).

Es muss zunächst ein spezieller Gerichtsbeschluss erwirkt werden, der ohne Anhörung der Gegenpartei ergeht. Die einzige Vorbedingung ist der Nachweis eines in Frankreich gültigen Schutzrechts (Patent, Gebrauchsmuster, Marke, Geschmacksmuster, Urheberrecht, Sortenschutzrecht). Ein konkreter Anfangsverdacht für die Schutzrechtsverletzung braucht nach herrschender Rechtsprechung nicht geltend gemacht zu werden, aber wenn konkrete Verdachtsmomente vorliegen, sollten diese im Antrag dargelegt werden.

Dieser Gerichtsbeschluss, der normalerweise innerhalb von 24 Stunden ergeht, ermächtigt einen Gerichtsvollzieher (huissier de justice) dazu, an einem benannten Ort Beweise für eine Schutzrechtsverletzung zu sammeln. Dabei kann der Gerichtsvollzieher ohne Voranmeldung Privaträume, Büroräume, Lagerräume und Fabrikhallen besichtigen und durchsuchen, und sich dort befindliche Dokumente und Gegenstände vorlegen und zur Einsichtnahme aushändigen lassen. Der Umfang der Besichtigung ist durch die Formulierung des Gerichtsbeschlusses bestimmt. Wenn der Gerichtsbeschluss dies vorsieht, kann der Gerichtsvollzieher Dokumente und Datenträger beschlagnahmen oder kopieren, Proben nehmen und Photographien anfertigen. Der Einwand, es handele sich um Betriebsgeheimnisse ist nur insoweit zulässig, als dann die betroffenen Dokumente bei der Beweissicherung als solche kenntlich gemacht werden und im weiteren Verlauf des Verletzungsverfahrens gesondert behandelt werden.

Bei den Beweismitteln kann es sich um technische Dokumente handeln, die z.B. den Beweis einer Patentverletzung erbringen : technische Zeichnungen, Forschungs- und Laborberichte, Produktionsunterlagen usw. Die weite Verbreitung zertifizierter Qualitätssicherungssysteme erleichtert die Auffindung derartiger Dokumente im Betrieb.

Kaufmännische Unterlagen, die das Ausmass der Patentverletzung beweisen, können auch erfasst werden : Bestellungen, Lieferscheine, Rechnungen, Geschäftsbücher usw.

Proben können z.B. von Substanzen, Werkstoffen, Markenetiketten genommen werden. Der Gerichtsvollzieher kann auch Photographien anfertigen (z.B. von Maschinen), Beschreibungen vornehmen und Erklärungen von anwesenden Personen zu Protokoll nehmen.

Über die Beweisaufnahme erstellt der Gerichtsvollzieher ein Protokoll, das vor Gericht eine sehr hohe Beweiskraft hat ; die erfassten Beweismittel sind Bestandteil des Protokolls.

Der Gerichtsbeschluss ermächtigt den Gerichtsvollzieher üblicherweise, sich von einem französischen Patentanwalt (conseil en propriété industrielle) begleiten zu lassen. Diesem kommt dabei eine Schlüsselrolle zu. In der Praxis ist es der Patentanwalt, der den Gerichtsvollzieher auswählt (nur wenige Gerichtsvollzieher haben Erfahrung mit patentrechtlichen Beweissicherungsverfahren) und den Fall mit ihm gründlich vorbereitet ; er leitet die Beweissicherung gewissermassen aus dem Hintergrund, bittet den Gerichtsvollzieher, sich bestimmte Dokumente zur Einsichtnahme vorlegen zu lassen, wählt die zu kopierenden Dokumente aus, und wacht über die strikte Einhaltung der verfahrensrechtlichen Regeln. Angestellte des Antragstellers dürfen bei der Beweisaufnahme nicht anwesend sein.

Insebesondere bei Patentverletzungsverfahren ist es günstig, wenn der französische Patentanwalt bereits bei der Vorbereitung des durch einen französischen Rechtsanwalt beim Gericht einzureichenden Antrags zur Beweissicherung mitwirkt.

Das Beweissicherungsverfahren wird ungültig, wenn nicht innerhalb von 30 Tagen unter Berufung auf das erstellte Protokoll Klage wegen Schutzrechtsverletzung erhoben wird. Diese Klage muss aber nicht gegen die Person ergehen, in deren Räumen die Beweissicherung stattfand. Dies erlaubt vielfältige strategische Optionen :

Beispielsweise kann ein Hersteller von Getränkeverpackungen, dessen Patent durch einen unbekannten Konkurrenten verletzt wird, durch eine Beweissicherung bei dem Getränkekonzern, der die patentverletzenden Verpackungen benutzt, den Namen des Herstellers der Verpackungen erfahren. Der Patentinhaber kann dann, zweckmässigerweise nach einem Beweissicherungsverfahren bei diesem Hersteller, letzteren wegen Patentverletzung verklagen. Diess Vorgehensweise schont den direkten Kunden des Patentinhabers (d.h. den Getränkekonzern), mit dem er weiterhin Geschäfte machen will.

Die Saisie-Contrefaçon war das Vorbild für die Beweissicherungsverfahren, die durch die europäische Richtlinie EC/2004/48 eingerichtet worden sind. Sie kann nur zum Beweis von Schutzrechtsverletzung beantragt werden.

Das französische Zivilprozessrecht (insbesondere Artikel 145, Code de procédure civile) sieht aber auch schlagkräftige Beweissicherungsverfahren für Streitfälle vor, die keine Verletzung eines gewerblichen Schutzrechtes beinhalten : Verletzung von Betriebsgeheimnissen, Patentanmeldung durch Unberechtigte nach widerrechtlicher Entnahme, unlauterer Wettbewerb. Auch bei diesen Verfahren, die oft komplexe technische Sachverhalte betreffen, kann beantragt werden, dass ein französischer Patentanwalt dem Gerichtsvollzieher während der Beweissicherung beisteht.

Patentanwalt Dr. Schmidt hat in seiner Eigenschaft als französischer Conseil en propriété industrielle reiche Erfahrung mit der Durchführung dieser Beweissicherungsverfahren.

Das deutsche Recht sieht ähnliche Beweissicherungsverfahren vor, die aber anders ablaufen. Näheres dazu erläutert Ihnen Patentanwalt Dr. Schmidt auf Anfrage gerne schriftlich.

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